Sendedatum: 15.05.2024 • Format, Länge: Rep 3:30 • Sender: ARD
Zum Industrie- und Handelskammertag kommen jedes Jahr Vertreter von Bundespolitik, Wirtschaft und Verbänden zusammen und suchen gemeinsam konkrete Lösungen für die drängendsten Probleme. Dieses Jahr geht es vor allem darum, wie der Fachkräftemangel bekämpft werden soll. Die Bundesregierung verweist dazu gern auf das sogenannte beschleunigte Fachkräfteverfahren. Es sollte Betrieben ermöglichen, schneller mögliche Auszubildende aus dem Ausland nach Deutschland holen zu können. Doch schnell ist eben ein relativer Begriff.
ATMO „Ich mach' mit Karim jetzt die Schoko-Weck. Daniel, Du kannst Ezim helfen.“
Claus Becker ist ein Workaholic aus Leidenschaft. Sieben Tage die Woche hat seine Bäckerei offen, an sieben Tagen arbeitet er.
ATMO „Hier den Wagen weg!“
Vier Auszubildende aus Marokko hat er hier im pfälzischen Edenkoben eingestellt, will damit dem Fachkräftemangel in seinem Unternehmen, im ganzen Bäckerhandwerk begegnen.
ATMO „Immerso drücken, dann hast Du mehr Kraft“
Neben Handwerkskunst möchte er seinen Auszubildenden zeigen: Nicht nur Arbeit macht Leistung aus, sondern auch Schnelligkeit.
ATMO „Ich bin der Meinung, nur was ich vorlebe, kann ich auch verlangen.“
So sind Beckers Azubis auf Zack. Ganz im Gegensatz zum beschleunigten Fachkräfteverfahren der Bundesregierung. Eigentlich sollte das Betrieben schnellen Zugang von Bewerbern aus Drittstaaten ermöglichen. Doch es verlangt immer noch vieeeel Geduld von Becker.
O-TON Claus Becker, Bäckermeister: „‘Beschleunigtes Einreiseverfahren` heißt: Eine Mitarbeiterin zwei bis drei Tage pro Woche vier bis fünf Stunden beschäftigt über drei Monate.“ Wie finden Sie das? „Als ‚Beschleunigtes Einreiseverfahren`? Naja. *schmunzelnd Stirn runzelnd*“
So musste sich Claus Beckers Frau Silke durchs Dickicht aus Anträgen schlagen: Ausländerbehörde, Arbeitsagentur, Wirtschaftsministerium – und die Behörden lieben viel Papier, wenig Digitales!
O-TON Claus Becker, Brot-Sommelier: „Das heißt: Wir mussten ausdrucken, unterschreiben, einscannen, direkt hinschicken, nach Kaiserslautern ins Amt muss es papiertechnisch geschickt werden. Nix per Mail!“
Das alles kostet Beckers Betrieb mit gläserner Backstube nicht nur Arbeitszeit, sondern auch 411 Euro Bearbeitungsgebühr – für jeden einzelnen Bewerber! Und das für jeden einzelnen Bewerber, die Claus Becker nur über ein Online-Gespräch kennenlernen und einstellen musste. Ganz schön riskant! Doch wer wagt, gewinnt!
O-TON Claus Becker, Bäckermeister: „Das ist einer meiner besten. Ezin ist jetzt seit November hier, macht die Ausbildung im ersten. Wir haben ja vier marokkanische Jugendliche und er ist einer der besten und engagiertesten.“
Der Aufwand hört nicht an der Backstube auf: Behördengänge, Hilfe im neuen, deutschen Alltag. Und für vier junge Männer aus Marokko eine Wohnung finden – kein leichtes Unterfangen.
Natürlich sollte in diesem Film auch mal einer dieser Auszubildenden erzählen, wie es für ihn hier denn so ist. Filmen sei zwar okay...
ATMO „Bist Du bereit, was zu sagen im Fernsehen?“
...aber ein Interview möchte plötzlich keiner mehr geben. Claus Becker ist darüber völlig verunsichert, will wissen, ob etwas nicht stimmt.
O-TON Claus Becker, Bäcker: „Er hat mir gesagt, er bekommt Ärger mit seiner Familie.“ Warum bekommt man denn Ärger? „In Marokko schämen sich die Familien, wenn ihre Kinder das Land verlassen müssen.“
Immer wieder solche interkulturellen Überraschungen, dazu viel und schleppender bürokratischer Aufwand. Und trotzdem:
Reporter: Würden Sie das anderen Handwerksbetrieben empfehlen? „*zögernd* Ja!“ Warum? „Weil es junge und engagierte Menschen sind.“
Und die brauchen die Bäckereien in Deutschland. Vergangenes Jahr hat im Schnitt jeden Tag eine dichtgemacht.